Das Dilemma zwischen Mitwirkungspflicht und dem Gewissen
Es ist eine widersinnig anmutende Abstimmungslage.
Da muss der Gemeinderat ohne Alternative einen Beschluss fassen und dem gewählten aber unwilligen Vertreter der Bürgerliste Dr. Lorenz Praefcke einen Hinderungsgrund zur Wahrnehmung seines Mandats bescheinigen. Eine nochmalige Ablehnung wäre genausowenig rechtskonform wie die erste Ablehnung vom 18. Juli.
Jeder Gemeinderat für sich allein ist jedoch frei in seiner Entscheidung. Und so kann es dann voraussichtlich wieder dazu kommen, dass ein auf den Vorrang des Rechts verpflichteter Gemeinderat mit Mehrheit dennoch den rechtskonformen Beschluss auch beim zweiten Mal scheitern lässt.
Für den weiteren Verwaltungsgang ist das kein Problem, weil es eine Rechtsaufsicht gibt, die das Verfahren heilen kann.
Für den einzelnen Gemeinderat bleibt hier indes das Dilemma zwischen seiner Mitwirkungspflicht am Zustandekommen rechtskonformer Beschlüsse und seinem Gewissen. Dass es sich die Gemeinderäte im alten wie im soeben frisch verpflichteten neuen Gemeinderat mit ihrer Entscheidung nicht leicht machen, das zeigen nicht nur die in der letzten Ratssitzung vorgetragenen Begründungen der Fraktionssprecher von CDU, Freien Wählern, SPD und Grünen, sondern auch die Diskussionsbeiträge anderer Räte.
So schreibt der neu für die SPD in den Rat eingezogene Tomislav Glavaš in seiner persönlichen Stellungnahme:
"Wenn man sich die Regelung der Gemeindeordnung nach dem Wortlaut anschaut, scheint die Sache klar. Aber bei der Auslegung von Rechtsnormen ist nicht nur der Wortlaut wichtig, sondern auch die sogenannte telelogische Auslegung mit Blick auf Sinn und Zweck einer Rechtsnorm.
Sinn und Zweck der Regelung ist, dass ein Gemeinderat, nachdem er eine Weile schon im Amt ist und während seiner Amtsperiode die Altersgrenze erreicht, sein Mandat niederlegen kann.
Zum Beispiel: Jemand entscheidet sich mit 65 Jahren nochmal anzutreten, wird gewählt und möchte dann nach 3 Jahren, also mit 68 aus Altersgründen ausscheiden. Das ist völlig legitim und genau solche Fälle meint die Gemeindeordnung.
Die Regelung bedeutet aber nicht, dass ein Kandidat sich kurz vor der Wahl aufstellen lässt und kurz nach der Wahl aus Altersgründen abspringt. Das Alter ist ja nur um wenige Wochen vorgerückt.
Wenn man sich vor der Wahl jung genug fühlt und kurz danach das Alter als Ablehnungsgrund heranzieht, dann ist das schlicht und ergreifend Betrug. Das Wahlrecht, das höchste Gut der Demokratie, wird hier von der Bürgerliste mit Füssen getreten.
Sollte die Kommunalaufsichtsbehörde diese am Sinn und Zweck orientierte Auslegungsart nicht anwenden, wäre ein Präzedenzfall geschaffen. So könnten in Zukunft auch andere diesem Muster folgen, in dem man Stimmen für eine Liste sammelt und sich nach Erringen eines Mandats wieder aus dem Staub macht. Tricksereien mit dem Wahlrecht wären dann Tür und Tor geöffnet.
Wir werden deshalb diesen Wahlbetrug nicht mitmachen."
Mit seiner Argumentation verdeutlicht Tomislav Glavaš die Gefahr, dass das von der Bürgerliste praktizierte Verfahren Schule machen könnte. Dass die Rechtsaufsicht dem Einhalt gebieten kann, ist zu bezweifeln. Insofern ist voraussichtlich nur die öffentliche Ächtung eines Missbrauchs des Wahlrechts eine Option. Diesem Ziel könnte die Haltung der Parteien und der aktuelle öffentliche Diskurs darüber dienen.
red
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